Die Wirtschafts-bestrebungen der SS und die Konzentrationslager 1942-1945 (3)

Hermann Kaienburg
1990

<<– Teil (2), (1)

Die Rüstungs- und Kriegsproduktion der SS in Polen und anderen Ländern des deutschen Macht- und Einflußbereichs

Pohl mit Himmler
Hitler

Schon im März 1942 erhielt Himmler die Zustimmung Hitlers, in der besetzten Tschechoslowakei die Entwicklung eigener Waffen zu betreiben. Die Entwicklungsarbeiten wurden in Kooperation zwischen dem SS-Waffenamt und den Reichswerken (HGW) in den von diesen mit Aktienmehrheit übernommenen Betrieben der Skoda-Werke und der Brünner Waffenwerke durchgeführt66. Skoda hatte schon 1940 der Waffen-SS durch Lieferungen ausgeholfen, als diese von der Wehrmacht mangelhaft ausgerüstet wurde.67 Entwicklung und Erprobung kamen anfangs offenbar gut voran; doch im Laufe der Jahre 1942/1943 wurde die tschechische Rüstungsindustrie auch mit Aufträgen der Wehrmacht in solchem Maße ausgelastet, daß die anfänglich starke Stellung der Waffen-SS dort rasch relativiert wurde.
Nach den Fehlschlägen im Reichsgebiet entwickelte Himmler Ende 1942 Pläne für KZ-Betriebe in Polen und der Sowjetunion. Am 16. 12. 1942 teilte er Pohl mit68:

„Für das Iwan-Programm habe ich folgende Gedanken: In Ostland können dafür die Häftlinge eines dem Höheren SS- und Polizeiführers69 Ostland unterstehenden KL verwendet werden. Diese werden jedoch den Bedarf an Arbeitskräften noch nicht decken.“

Daher wollte er

„in einem Teil unserer Ost-Fabriken, die wir in Gang setzen“,

auch einheimische

„Arbeiter und Arbeiterinnen mit polizeilicher Verordnung, aber im freien russischen Arbeitsverhältnis“

beschäftigen. Auch hier überschätzte Himmler aber offenbar seine Möglichkeiten. Er war zwar mit der polizeilichen Sicherung der besetzten sowjetischen Gebiete beauftragt; dort auch wirtschaftlich Fuß zu fassen, mißlang aber70.
Anders war es in Polen. Die dorthin deportierten Juden waren bis 1942 von unterschiedlichen Dienststellen in Ghettobetrieben, aber auch in mobilen Arbeitskolonnen und in Arbeitslagern außerhalb der Städte zu Behelfsarbeiten, bei Baumaßnahmen und zunehmend auch in Wirtschaftsbetrieben eingesetzt worden71. Ende 1941 begannen die Deportationen in die Tötungszentren. Bis Ende 1942 war der größte Teil der jüdischen Bevölkerung des Generalgouvernements vernichtet. Arbeitsfähige Juden, die nicht sofort umgebracht werden sollten – insgesamt 10 bis 15 Prozent der jüdischen Bevölkerung des Generalgouvernements 194272 -, wurden stattdessen 1942/1943 aus den Ghettos in Arbeitslager der SS und Polizeiführer (SSPF) deportiert. Einsprüchen von seiten der Wehrmacht, die wegen des Entzugs von Arbeitskräften um die Rüstungsproduktion fürchtete, begegnete die SS mit dem Vorschlag, die jüdischen Arbeiter der besonders wichtigen Fertigungen zunächst in einzelnen Werkshallen, dann in gesonderten KZ-Betrieben zusammenzufassen; Juden, die nur in „sogenannten“ Rüstungsfertigungen – z. B. Schneider-, Holz- und Schusterfertigungen – arbeiteten, sollten dagegen sofort in Konzentrationslager überstellt werden.

„Die Wehrmacht soll ihre Bestellungen an uns geben, und wir garantieren ihr den Fortgang der Lieferungen für die von ihr gewünschten Bekleidungsstücke.“73

Odilo Globocnik

Die Juden in den SS-Lagern waren zum Teil in Privatunternehmen74 und Rüstungswerken, überwiegend aber in Betrieben tätig, die die SS- und Polizeiführer (SSPF) zur Verwertung ihrer Arbeitskraft errichtet oder übernommen hatten. Himmler war jedoch bestrebt, den SSPF die Nutznießung der jüdischen Arbeitskraft zu einem Teil zu entziehen und einige Betriebe zentraler Leitung zu unterstellen. Im März 1943 ließ Pohl zu diesem Zweck nach bewährten Verfahren eine Tarnfirma der SS gründen, die er dem WVHA eingliederte. Die „Ostindustrie GmbH“ (Osti) sollte Werke der SSPF, aber auch Privatbetriebe sowie Maschinen und Werkzeuge aus den zu räumenden Ghettos Warschau und Byalystok übernehmen und neue Produktionen errichten, in denen überwiegend Juden arbeiteten75. Die SS schreckte dabei nicht vor der Erpressung oder Verhaftung von Personen zurück, die ihr hinderlich waren76. Dennoch stieß die Realisierung mehrfach auf Schwierigkeiten. Die Dienststellen der SSPF behinderten die Übergabe. Im Warschauer Ghetto widersetzte sich die jüdische Bevölkerung dem Abtransport der Maschinen, da sie diesen als Zeichen der ihnen selbst bevorstehenden Deportation und Vernichtung begriffen. Erst nachdem der Aufstand (19. 4. – 16. 5. 1943) mit Waffengewalt niedergeschlagen und das Ghetto dem Erdbeben gleich gemacht worden war, konnten die Betriebsverlagerungen beendet werden.
Die Betriebe der Osti waren in acht Werkskomplexe gegliedert. Da es sich nur um einen vorübergehenden Arbeitseinsatz handeln sollte, kamen nur Tätigkeiten in Frage, bei denen die Arbeitskräfte gegebenenfalls ersetzbar waren; hochqualifizierte Bereiche der Rüstungsproduktion waren hingegen wenig sinnvoll77. Es handelte sich überwiegend um Textil-, Leder- und Holz, z. T. auch eisenverarbeitende Fertigungen, deren Erzeugnisse offenbar meist für die Waffen-SS bestimmt waren78. Die meisten Betriebe waren nur mit einfachen Geräten und Anlagen ausgestattet. Da Aufträge der Wehrmacht ausblieben – der SSPF von Lublin, Globocnik, beschuldigte sie deshalb des Boykotts – waren in den SS-Arbeitslagern zeitweise bis zu 40 Prozent der Häftlinge unbeschäftigt79. Eines der wenigen SS-Werke im Generalgouvernement mit einer Rüstungsproduktion im engeren Sinne (Granatzünder) war gerade zur vollen Aufnahme der Produktion fertiggestellt, als im November 1943 sämtliche noch im Generalgouvernement verbliebenen jüdischen Arbeitskräfte in die Vernichtungslager überstellt und umgebracht wurden80. Auch den meisten der übrigen Betriebsstätten der SS im Generalgouvernement war damit die Existenzgrundlage entzogen. 1944 wurden nur noch Fertigungen in geringem Umfang mit polnischen und aus dem Reich(!) überstellten KZ-Häftlingen weitergeführt.
Einen Erfolg von kurzer Dauer konnte Himmler schließlich noch in Ungarn verbuchen, wo er im Frühjahr 1944 eines der größten Rüstungsunternehmungen, bis dahin partiell im Besitz der jüdischen Familie Weiß, mittels eines erpresserischen Manövers übernahm81.

–> Die Entwicklung der bestehenden SS-Unternehmen 1942-1945

Fußnoten

Wilhelm Voss (links) zusammen mit dem ägyptischen Oberst Moaeb 1951
Albert Speer (1933)
Paul Pleiger
Dietrich Eichholtz

1a Stein, George H.: Geschichte der Waffen-SS, Königstein/Düsseldorf 1978.
11a Meyer, August: Das Syndikat. Reichswerke „Hermann Göring“, Braunschweig/Wien 1986, Zit. Meyer, Syndikat.
12a Eichholtz, Dietrich: Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft 1939-1945; Band 1; 3., durchgesehene Aufl. Berlin 1984; Band 2: 1. Aufl., Berlin 1984. Zit. Eichholtz, Kriegswirtschaft.
12b Speer, Albert: Der Sklavenstaat. Meine Auseinandersetzungen mit der SS. Frankfurt/Berlin/Wien 1981 Zit. Speer, Sklavenstaat.
18b Georg, Enno: Die wirtschaftlichen Unternehmungen der SS. Stuttgart 1963.
21a Dieckmann, Götz: Existenzbedingungen und Widerstand im Konzentrationslager Dora Mittelbau unter dem Aspekt der funktionellen Einbeziehung der SS in das System der faschistischen Kriegswirtschaft, Diss. Berlin 1968, Zit. Dieckmann.
53a Hilberg, Raul: Die Vernichtung der europäischen Juden, Die Gesamtgeschichte des Holocaust, Frankfurt/M. u. a. 1982 (Erstveröffentlichung: Chicago 1961).
66 Vgl. Meyer, Syndikat11a, S. 214 u. 216. – Zum folgenden vgl. Schriftwechsel Himmlers mit dem Direktor der Skoda-Werke, Wilhelm Voss (30. 3. 42 bis 10. 7. 42), BA, NS 19-1935 sowie Speer, Sklavenstaat12b, S. 137-143. Speers Darstellung ist auch hier irreführend. Er erweckt den Eindruck, die Entwicklungsarbeiten hätten vollständig unter Kontrolle der SS gestanden, und verschweigt, daß es sich um eine Kooperation mit den Reichswerken handelte, deren Produktion damals der Aufsicht seines Ministeriums unterstand.
67 Vgl. Stein1a, S. 45ff.
68 ABu (Archiv der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald) 312-15; vgl. Abbildung des Dokuments in: Obozy68a, Anhang, Abb. 135/136. – Das Iwan-Programm stellte zu dieser Zeit eines der größten deutschen Rüstungsvorhaben in der Sowjetunion dar. Möglicherweise hoffte Himmler, vermittels seiner guten Beziehungen zu Pleiger dort ins Geschäft zu kommen. Pleiger hatte im November 1942 über die „Berg- und Hüttenwerksgesellschaft Ost m. b. H.“ (BHO) die treuhänderische Verwaltung der sowjetischen Montanindustrie übernommen. (vgl. Eichholtz, Kriegswirtschaft12a, Band 2, S. 466f.).
68a Obozy Hitlerowskie na ziemiach polskich 1939-1945, Informator encyklopedycny, Hg. Glówna Komisja Badania Zbrodni Hitlerowskich w Polsce u. a., Warszawa 1979. Zit. Obozy.
69 Fehlschreibung im Original.

Gienanth, Freiherr von, Kurt Ludwig (Gen. d. Kav.)
Göring
Raul Hilberg
Götz Dieckmann

70 Vgl. dazu auch das von Göring am 8. 11. 1941 erlassene Verbot wirtschaftlicher Betätigung außerhalb der Kontrolle des Wirtschaftsstabes Ost (siehe 1. Teil, A2c [d. vorl. Buches – d. Publ.], Die Beschränkung der wirtschaftlichen Betätigung der SS …)
71 Die Arbeitskräfte wurden meist über die Judenräte erfaßt. Die Meldung zur Arbeit wurde über die Verpflegungszuteilung erzwungen. Die Existenz- und Arbeitsbedingungen waren im allgemeinen noch schlechter als in den Konzentrationslagern. – Privatunternehmen erhielten im Generalgouvernement erst ab 1942 Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt. (Dazu und zum folgenden vgl. Hilberg53a, S. 179ff. und 369ff; Georg18b, S. 91ff; Krausnick, Judenverfolgung71a, S. 339f. und 345ff; Dieckmann21a, S. 36-40.)
71a Krausnick, Helmut: Judenverfolgung, in: Anatomie des SS-Staates, Bd. 2, S. 235ff. Zit. Krausnick, Judenverfolgung.
72 Von den ca. 2,3 Millionen Juden des Generalgouvernements Ende 1941/Anfang 1942 (lt. Protkoll der Wannseekonferenz, Dok. NG-2586 G) lebten nach den Korherr-Berichten am Jahresende noch etwa 298 000 in Restghettos und Arbeitslagern. (Zu den Korherr-Berichten: Der mit Anschreiben v. 23.3.43 dem persönlichen Stab Himmlers übersandte statistische Bericht wird im folgenden als „1. Korherr-Bericht“ bezeichnet, die am 19. 4.43 eingerichtete, zur Vorlage bei Hitler erstellte Fassung als „2. Korherr-Bericht“; beide: BA, NS 19-1570; quellenkritische Bemerkungen dazu siehe unten, A2a [d. vorl. Buches – d. Publ.]). – Hier: 1. Bericht, S. 11 u. 2. Bericht, S. 3.
73 Stellungnahme Himmlers zur Denkschrift des Generals v. Gienanth v. 9. 10. 42 (zit. nach Krausnick, Judenverfolgung71a, S. 351f.; Hervorhebungen vom Verfasser; vgl. auch ebd., S. 345f. und Hilberg53a, S. 369f.)

W.C. Többens, etwa 1943
Rudi Goguel

74 Über die Methoden der Firma Többens erregte sich Himmler nach einer Besichtigung des Warschauer Ghettos im Januar 1943: „Wenn ich nicht irre, hat sich hier im Verlaufe von 3 Jahren ein früher besitzloser Mann zum wohlhabenden Besitzer – wenn nicht sogar schon zum Millionär entwickelt, und zwar nur dadurch, daß wir, der Staat, ihm die billige jüdische Arbeitskraft zutrieben.“ (Schreiben Himmlers an den HSSPF74a des GG, Dok. NO-1882; vgl. Georg18b, S. 95 und Hilberg53a, S. 373).
Die Methoden, mit denen sich SS-Angehörige bis hin zu den höchsten Verantwortlichen bei der Judenverfolgung bereicherten, stellten dagegen für Himmler kaum einen Grund zum Eingreifen dar. Sie gehörten vielmehr zum System der innerorganisatorischen Loyalitätssicherung der SS und wurden daher weitgehend geduldet. Vgl. dazu Hilberg53a, S. 684; Nationalsoz. Massentötungen, S. 111.
74a HSSPF: Höherer SS- und Polizeiführer.
75 Um die bisherigen Nutznießer in die Neuorganisation einzubinden, wurde Globocnik (SSPF des Distriktes Lublin) zum Geschäftsführer der Osti ernannt. – Zum folgenden vgl. Georg18b, S. 92ff.
76 Beispiele bei Hilberg53a, S. 373f.
77 Vgl. dazu die Anweisungen für die Beschäftigung von Juden; siehe unten (A2a [d. vorl. Buches – d. Publ.])
78 Die Waffen-SS hatte einen ihrer wichtigsten Stützpunkte in Lublin; vgl Marszalek, Majdanek78a, S. 25f; Siehe auch oben (1. Teil, A2c [d. vorl. Buches – d. Publ.], Die Baustoffindustrie in der Sowjetunion). – Ferner gab es einige Ziegeleien und Steinbrüche, einen Torfstich, eine Glashütte und andere nicht unmittelbar kriegsbedingte Fertigungen.
78a Marszalek, Josef: Geschichte und Wirklichkeit des Vernichtungslagers, Reinbek 1982. . Zit. Marzalek, Majdanek.
79 Vgl. Hilberg53a, S. 375; Dieckmann21a, S. 39f.
80 Allein im KL Lublin und in den Arbeitslagern des Distrikts wurden am 3. November 1943 42 000 Juden erschossen; vgl. Marszalek, Majdanek78a, S. 141.
81 Vgl. Speer, Sklavenstaat12b, S. 251ff; Drobisch u. a. Juden unterm Hakenkreuz81a, S. 343f.
81a Drobisch, Klaus / Rudi Goguel / Werner Müller: Juden unterm Hakenkreuz, Frankfurt a. M. 1973. Zit Drobisch u.a. Juden unterm Hakenkreuz.

Hermann Kaienburg

(Hermann Kaienburg: Die Wirtschaftsbestrebungen der SS und die Konzentrationslager 1942-1945. In: Ders.: „Vernichtung durch Arbeit“ – Der Fall Neuengamme, Bonn 1990, S 227-326; hier: S. 247-250)

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