Die Berliner Operation. [1]

Marschall G. K. Shukow
1974

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Die abschließende Operation des zweiten Weltkrieges in Europa – die Berliner Operation – war von besonderer Bedeutung. Mit der Einnahme Berlins wurden die wichtigsten militärischen und politischen Fragen endgültig entschieden, von denen in vieler Hinsicht die Nachkriegsentwicklung Deutschlands und seine Stellung im politischen Leben Europas abhingen.

Als die sowjetischen Streitkräfte zur letzten Schlacht gegen den Faschismus rüsteten, gingen sie strikt von der mit ihren Alliierten vereinbarten Politik aus, die darauf abzielte, die bedingungslose Kapitulation des faschistischen Deutschlands in militärischer, wirtschaftlicher und politischer Hinsicht zu erzwingen. Unser Hauptziel in dieser Periode des Krieges war es, den Faschismus völlig auszumerzen und alle faschistischen Hauptkriegsverbrecher für die von ihnen begangenen Bestialitäten, Massenmorde, Zerstörungen, für die Unterdrückung der Völker in den zeitweilig besetzten Gebieten und Ländern zur Verantwortung zu ziehen.

Die Idee der Berliner Operation stand im Hauptquartier in ihren Grundzügen schon im November 1944 fest. Ihre Präzisierung erfolgte während der Weichsel-Oder-Operation, der Ostpreußischen und der Ostpommern-Operation.

Bei der Ausarbeitung des Planes für die Berliner Operation wurde auch das Vorgehen der alliierten Truppen berücksichtigt, die Ende März/Anfang April in breiter Front den Rhein erreicht hatten und ihn zu überwinden begannen, um die allgemeine Offensive auf die zentralen Gebiete Deutschlands vorzutragen.

Das Oberkommando der alliierten Truppen stellte sich die Liquidierung der gegnerischen Gruppierung und die Eroberung des Ruhrgebietes als nächstes Ziel. Dann wollte es die amerikanischen und britischen Truppen zur Elbe in Richtung Berlin vorrücken lassen. Gleichzeitig wurden Operationen amerikanischer und französischer Truppen in südlicher Richtung entfaltet, um die Räume Stuttgart und München einzunehmen und die zentralen Gebiete Österreichs und der Tschechoslowakei zu erreichen.

Britische Kriese hegten noch immer die Hoffnung, Berlin zu erobern, bevor die Rote Armee dort einmarschierte, obwohl die Beschlüsse der Konferenz von Jalta die Grenzen für die sowjetische Besatzungszone weitab westlich von Berlin gezogen hatten und die sowjetischen Truppen schon an der Oder und Neiße, das heißt, 60 bis 100 Kilometer vor Berlin standen.

Wenn sich auch die amerikanischen und britischen Politiker und Militärs nicht über die strateischen Ziele in dieser Schlußetappe des Krieges einig waren, gab das Oberkommando der Expeditionstruppen den Gedanken „untergünstigen Umständen Berlin zu nehmen“, nicht auf.

D. D. Eisen-hower

So erklärte Eisenhower am 7. April 1945, als er den Vereinigten Stab der Alliierten von seinen Entscheidungen über die abschließenden Operationen unterrichtete, er würde im Falle einer leichten Einnahme Leipzigs sofort auf Berlin vorrücken. Und er begründete seinen Standpunkt mit politischen Erwägungen.

I

W. I. Stalin

n den letzten Märztagen wurde Stalin über die amerikanische Mission von Eisenhower darüber unterrichtet, daß dieser in der Berliner Richtung vorhabe, die vereinbarte Linie zu erreichen. Die britischen und amerikanischen Truppen würden ihr weitere Offensive nach dem Nordosten vortragen, um den Raum Lübeck zu erreichen, und nach dem Südosten, um den Gegner in Süddeutschland aufzureiben.

Stalin wußte, daß die faschistische Führung aktiv auf ein Separatabkommen mit der britischen und der amerikanischen Regierung hinarbeitete. Angesichts der hoffnungslosen Lage der Truppen war zu erwarten, daß die Faschisten ihren Widerstand im Westen einstellen und die amerikanischen und britischen Truppen ungehindert nach Berlin ziehen lassen würden, damit die Stadt nicht der Roten Armee in die Hände fiele.

Am 27. März 1945 berichtete ein bei der 21. Armeegruppe Campbell weilender Korrespondent der Agentur Reuter über den Angriff der anglo-amerikanischen Truppen:

„Ohne auf Widerstand zu stoßen, dringen sie in Mitteldeutschland ein.“

Mitte April 1945 stellte der amerikanische Rundfunkreporter John Grover fest:

„Die Westfront existiert praktisch nicht mehr.“

Wie entwickelte sich die Offensive der anglo-amerikanischen Truppen am Rhein in Wirklichkeit?

Bekanntlich besaß der Gegner hier eine recht schwache Verteidigung. Als er sich hinter den Rhein zurückzog, hätte er einen ernsten Widerstand organisieren können, doch das unterblieb, weil er seine Hauptkraft im Osten gegen unsere Truppen einsetzte. Selbst als es für die Gruppierung an der Ruhr kritisch war, verstärkte das faschistische Oberkommando die Front gegen die sowjetischen Truppen auf Kosten seiner Gruppierung im Westen.

Zu Beginn des anglo-amerikanischen Feldzuges verfügten die Faschisten dort über 60 stark geschwächte Divisionen, deren Kampfkraft der von 26 kompletten Divisionen entsprach. Dagegen boten die westlichen Alliierten 80 volle Divisionen, darunter 23 Panzerdivisionen, auf.

Besonders überlegen waren unsere Alliierten dem Gegner in der Luft. Sie konnten mit ihren Bombern und Jagdfliegern praktisch überall jeden Widerstand völlig niederhalten.

Die amerikanischen und die britischen überquerten den Rhein eigentlich völlig kampflos.

Das Oberkommando der alliierten Truppen verlegte seine Hauptkräfte in die Berliner Richtung, um die Elbe zu erreichen, ohne die Zerschlagung der Gruppierung im Ruhrgebiet abzuwarten.

Walter Bedell Smith
L. D. Clay Jr.
De Lattre de Tassigny
Sir B. Mont-gomery
W. M. Robert-son

Nach Kriegsende stellte sich in Gesprächen mit amerikanischen und britischen Generalen, darunter Eisenhower, Montgomery, aber auch mit de Lattre de Tassigny, Clay, Robertson, Smith und anderen heraus, daß eine Eroberung Berlins durch die alliierten Truppen erst von der Tagesordnung gestrichen wurde, als die sowjetischen Truppen an der Oder und Neiße durch den mächtigen Schlag ihrer Artillerie, Granatwerfer und Fliegerkräfte sowie durch den Angriff der Panzer- und Schützenverbände die Verteidigung des Gegners bis in die Grundfesten erschüttert hatten.

Als unser Hauptquartier von General Eisenhower dessen Entschluß erfuhr, zwei Stöße zu führen, und zwar nach dem Nordosten und dem Süden Deutschlands, und außerdem seine Mitteilung erhielt, die amerikanischen Truppen würden in der Berliner Richtung an der vereinbarten Linie haltmachen, sprach Stalin mit Hochachtung von Eisenhower als Menschen, der seinen Verpflichtungen treu bleibt. Dieses Lob kam aber zu früh.

Während der Landung und derr Offensive der alliierten Tuppen in Frankreich existierte zwischen dem Generalstab der Roten Armee und den Militärmissione der USA und Großbritanniens eine enge Verbindung. Wir tauschten häufig Informationen über den Standort gegnerischer ruppen aus. Doch je mehr sich das Kriegsende näherte, um so häufiger erhielten wir von unseren Verbündeten Berichte, die von der Wahrheit weit entfernt waren.

J. R. Deane Jr.
A. I. Antonow

Ich erlaube mir, hier einen Brief des Chefs des Generalstabes A. I. Antonow anzuführen, mit dem er eine Mitteilung des Leiters der US-Militärmission in der UdSSR, Generalmajor John P. Dean, beantwortete.

„An den Leiter der Militärmission der USA in der UdSSR,
Generalmajor John P. Dean.
Hochverehrter General Dean!

G. C. Marshall (1946)

Ich bitte Sie, General Marshall folgendes zur Kenntnis zu bringen:

Am 20. Februar dieses Jahres erhielt ich von General Marshall Nachricht darüber, daß die Deutschen an der Ostfront zum Zweck einer Gegenoffensive zwei Gruppierungen schaffen würden: eine in Pommern für einen Stoß auf Torn und die andere im Raum WienMährisch-Ostrau für einen Angriff in Richtung Łódź. Dabei sollte die südliche Gruppierung die 6. SS-Panzerarmee umfassen. Gleichlautende Nachrichten erhielt ich am 12. 2. vom Leiter der Army Section der britischen Militärmission, Oberst Brinkman.

Ich bin General Marshall für die uns so freundlich übermittelte Information dankbar, die unseren gemeinsamen Zielen förderlich ist.

Gleichzeitig halte ich es für meine Pflicht, general Marshall mitzuteilen, daß die Kampfhandlungen an der Ostfront im Monat März die von ihm gegebene Information nicht bestätigt haben, denn diese Kämpfe haben bewiesen, daß die Hauptgruppierung der deutschen Truppen, einschließlich der 6. SS-Panzerarmee, nicht in Pommern und nicht im Raum Mährisch-Ostrau konzentriert war, sondern im Raum des Balatons, von wo aus die Deutschen einen Angriff mit dem Ziel führten, zur Donau vorzustoßen und sie südlich von Budapest zu forcieren.

Diese Tatsache beweist, daß die Information, über die General Marshall verfügte, nicht dem tatsächlichen Verlauf der Ereignisse an der Ostfront im Monat März entsprach.

Es ist nicht ausgeschlossen, daß einige Quellen dieser Information das Ziel verfolgten, sowohl das anglo-amerikanische als auch das sowjetische Oberkommando zu desorientieren und die Aufmerksamkeit der sowjetischen Führung von dem Raum abzulenken, in dem die Deutschen die Hauptangriffs an der Ostfront vorbereiteten.

Dennoch bitte ich General Marshall, mir, wenn möglich, weiterhin Angaben über den Gegnerr zukommen zu lassen.

Ich hielt es für meine Pflicht, General Marshall diese Nachricht zu übermitteln, auch wenn sie nur dazu dient, ihm entsprechende Schlußfolgerungen hinsichtlich der Quelle seiner Information zu ermöglichen.

Ich bitte Sie, General Marshall meiner Wertschätzung und Dankbarkeit zu versichern.

Hochachtungsvoll
Armeegeneral Antonow,
Chef des Generalstabes der Roten Armee.

30. März 1945.“

Wieder wurde ich nach Moskau gerufen. Es war am 29. März. Ich hatte den Plan der 1. Belorussischen Front für die Berliner Operation in der Tasche. Er war im März vom Stab und vom Frontoberkommando präzisiert worden, wobei wir alle grundsätzlichen Fragen mit dem Geberalstab und dem Hauptquartier vereinbart hatten. Das ermöglichte es uns, dem Oberkommando einen detaillierten Plan zu unterbreiten.

Spätabends rief mich Stalin in sein Arbeitszimmer im Kreml. Er war allein. Eben erst hatte er eine Beratung mit den Mitgliedern des Staatlichen Verteidigungskomitees beendet.

Stalin reichte mir stillschweigend die Hand und sagte dann, als ob er ein unterbrochenes Gespräch fortsetzte:

„Die deutsche Front im Westen ist endgültig zusammengebrochen, offenbar wollen die Nazis nichts tun, um das Vorrücken der alliierten Truppen aufzuhalten. Sie verstärken jedoch ihre Gruppierungen in allen wichtigen Richtungen gegen uns. Da ist die Karte, Sie können sich die letzten Angaben über die deutschen Truppen ansehen.“

Er rauchte seine Pfeife an und fuhr fort:

„Ich denke, daß uns eine ernste Schlägerei bevorsteht …“

Dann wollte er wissen, wie ich den Gegner in der Berliner Richtung einschätze.

Ich holte die Aufklärungskarte der Front hervor und breitete sie vor dem Obersten Befehlshaber aus. Stalin sah sich die ganze operativ-strategische Gruppierung der Truppen des Gegners in der Berliner Richtung aufmerksam an.

Nach unseren Unterlagen verfügte er dort über 4 Armeen mit mindestens 90 Divisionen, darunter 14 Panzerdivisionen und motorisierte Divisionen, ferner 37 selbständige Regimenter und 98 selbständige Bataillone.

Später wurde festgestellt, daß in der Berliner Richtung mindestens eine Million Mann, 10 400 Geschütze und Granatwerfer, 1500 Panzer und Selbstfahrlafetten sowie 3300 Kampfflugzeuge zur Verfügung standen, in der Stadt selbst 200 000 Mann.

„Wann können unsere Tuppen mit der Offensive auf Berlin beginnen?“

fragte Stalin.

Ich meldete:

K. K. Rokos-sowski

„Die erste Belorussische Front kann in spätestens zwei Wochen angreifen. Die erste Ukrainische Front wird offenbar gleichfalls zu diesem Zeitpunkt einsatzbereit sein. Die zweite Belorussische Front wird nach alen vorliegenden Angaben noch längere Zeit, und zwar bis Mitte April, mit der endgültigen Zerschlagung des Gegners im Raum DanzigGdynia zu tun haben, kann also nicht zusammen mit der ersten Belorussischen und der ersten Ukrainischen Front von der Oder aus die Offensive beginnen.
Wir werden die Operation beginnen müssen, ohne auf Rokossowski zu warten. Es ist kein Unglück, wenn er ein paar Tage später beginnt.“

Dann trat Stalin an seinen Schreibtisch, blätterte in den Papieren und zog einen Brief hervor.

„Da, lesen Sie.“

Der Brief stammte von einem ausländischen Freund und berichtete von geheimverhandlungen zwischen faschistischen Agenten und offiziellen Vertretern der westlichen Alliierten, aus denen ersichtlich war, daß die Nazis bereit waren, den Kampf gegen die Alliierten einzustellen, wenn diese einen Separatfrieden zu beliebigen Bedingen eingehen würden.

In diesem Bericht hieß es weiter, die Alliierten hätte zwa diese Vorschläge zurückgewiesen, die Faschisten würden jedoch möglicherweise den Truppen der Westmächte den Weg nach Berlin öffnen.

„Na, was meinen Sie dazu?“

wollte Stalin von mir wissen, sagte aber sofort, ohne meine Antwort abzuwarten:

F. D. Roose-velt
Winston Churchill

„Wahrscheinlich wird Roosevelt unsere Vereinbarung von Jalta nicht brechen, aber Churchill ist zu allem fähig.“

Dann trat er wieder an seinen Schreibtisch, rief Antonow an und bat ihn, sofort zu kommen.

Fünfzehn Minuten später betrat Antonow das Arbeitszimmer des Obersen Befehlshabers.

„Wie steht’s bei Rokossowski?“

A. M. Wassi-lewski

Antonow erstattete den Lagebericht für den Raum Danzig-Gdynia. Danach erkundigte sich der Oberste Befehlshaber, wie die Dinge bei Wassilewski im Raum Königsberg stünden.

Nun berichtete Antonow über die Lage bei der 3. Belorussischen Front.

Stalin überreichte ihm schweigend den Brief, den er mir eben erst gezeigt hatte.

Dazu sagte Antonow:

„Das ist noch ein Beweis für die geheimen Machenschaften zwischen den Faschisten und britischen Regierungskreisen.“

Der Oberste Befehlshaber beauftragte Antonow:

I. S. Konew

„Rufen Sie Konew an, er soll am ersten April mit dem Operationsplan der ersten Ukrainischen Front im Hauptquartier eintreffen. Die zwei Tage bis dahin arbeiten Sie mit Shukow einen gemeinsamen Plan aus.“

Wie befohlen, machte mich Antonow am nächsten Tag mit dem Entwurf des strategischen Plans der Berliner Operation vertraut. Dieses Dokument schloß den Plan für die Offensive der 1. Belorussischen Front ein. Nach einem aufmerksamen Studium der im Hauptquartier ausgearbeiteten Dokumente gelangte ich zu dem Schluß, daß alles gut vorbereitet war und ganz der operativ-strategischen Lage entsprach, die sich entwickelt hatte.

Bereits am 31. März traf der Oberbefehlshaber der 1. Ukrainischen Front, Marschall Konew, im Generalstab ein, wo er sofort an der Beratung des allgemeinen Planes für die Berliner Operation teilnahm und dann den Plan für die Offensive der 1. Ukrainischen Front unterbreitete.

Wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht, waren wir uns damals über alle prinzipiellen Fragen einig.

Am 1. April 1945 nahm das Hauptquartier den Bericht von Antonow über den Gesamtplan der Berliner Operation und daraufhin meine Erläuterungen des Offensivplanes der 1. Belorussischen Front und Konews Bericht über den Offensivplan der 1. Ukrainischen Front entgegen.

Stalin war nicht mit der Trennungslinie zwischen der 1. Belorussischen Front und der 1. Ukrainischen Front einverstanden, wie sie auf der Karte des Generalstabes festgelegt war. Er tilgte die Trennungslinie von der Neiße bis Potsdam und zog sie nur bis Lübben – 60 Kilometer südostwärts von Berlin. Dabei sagte er zu Marschall Konew:

„Falls der Gegner ostwärts von Berlin hartnäckigen Widerstand leistet und die Offensive der 1. Belorussischen Front verzögert wird, muß die 1. Ukrainische Front bereit sein, mit ihren Panzerarmeen von Süden her gegen Berlin vorzustoßen.“

Es besteht die falsche Vorstellung, daß in der Schlacht um Berlin die 3. und 4. Gardepanzerarmee nicht auf Entschluß des Hauptquartiers, sondern auf Initiative des Oberbefehlshabers der 1. Ukrainischen Front in den Kampf eingeführt wurden. Ich möchte zitieren, was Marschall Konew am 18. Februar 1946 bei der Zusammenkunft des Obersten Kommandeursbestands der Zentralen Gruppe der Streitkräfte zu dieser Frage erklärte.

D. D. Lelju-schenko
P. Rybalko (1938)

Als ich am sechzehnten April etwa um Mitternacht meldete, daß die Offensive gut gehe, gab mir Genosse Stalin folgende Anweisung:
‚Beim Genossen Shukow hapert’s, lassen Sie Rybalko und und Leljuschenko nach Zehlendorf einschwenken, denken Sie dabei daran, worüber wir uns im Hauptquartier geeinigt haben.’“

Die Offensive auf Berlin sollte am 16. April beginnen, ohne das Vorgehen der 2. Belorussischen Front abzuwarten, die allen Berechnungen nach nicht vor dem 20. April von der Oder aus angreifen konnte.

Am Abend des 1. April unterschrieb Stalin im Hauptquartier in meiner Anwesenheit die Direktive für die 1. Belorussische Front über die Vorbereitung und Durchführung der Operation zur Eroberung Berlins und die Direktive, innerhalb von 12 bis 15 Tagen die Elbe zu erreichen.

A. W. Gorbatow (n. 1955)

Der Hauptstoß sollte aus dem Brückenkopf Küstrin mit 4 allgemeinen Armeen und 2 Panzerarmeen geführt werden. Die Panzerarmeen sollten eingesetzt werden, nachdem die Verteidigung des Gegners durchbrochen war, um Berlin vom Norden und Nordosten zu umgehen. Die zweite Staffel der Front, die 3. Armee unter Generaloberst Gorbatow, sollte gleichfalls in der Hauptrichtung operieren.

Den Etwurf der Direktiven für die 1. Ukrainische Front unterschrieb der Oberste Befehlshaber einen Tag nach der Korrektur, da die Trennungslinie geändert und die Anweisung gegeben wurde, diese Front solle sich bereit halten, ihre Panzerarmeen von Süden nach Berlin vorstoßen zu lassen.

In dieser Direktive wurde die Erste Ukrainische Front beauftragt:
Die Gruppierung des Gegners im Raum Cottbus und südlich von Berlin aufzureiben;
die Hauptkräfte der Heeresgruppe Mitte von der Berliner Gruppierung zu isolieren und so von Süden her den Vorstoß der 1. Belorussischen Front zu sichern;
in spätestens 10 bis 12 Tagen die Linie BeelitzWittenberg und weiter die Elbe entlang bis Dresden zu erreichen;
den Hauptstoß der Front in Richtung Spremberg zu führen;
die 3. und die 4. Gardepanzerarmee nach dem Durchbruch in Richtung des Hauptstoßes einzusetzen.

Da die 2. Belorussische Front immer noch in schwere Gefechte gegen die Truppen südostwärts von Danzig und nördlich von Gdynia verwickelt war, beschloß das Hauptquartier, die Hauptkräfte dieser Front an die Oder zu verlegen und spätestens am 15. April im Abschnitt KolbergSchwedt die Truppen der 1. Belosrussischen Front abzulösen. Zur endgültigen Liquidierung der Gruppierung des Gegners im Raum Danzig-Gdynia sollte ein Teil der Kräfte aus der Front Rokossowskis belassen werden.

Bei der Besprechung des Gesamtplanes für die bevorstehenden Operationen am Schwerpunkt Berlin wurden im Hauptquartier auch die Ziele und Aufgaben der 2. Belorussischen Front in grundsätzlichen Zügen festgelegt.

Da die 1. Belorussische Front ihre Operation vier Tage später begann, wurde Marschall Rokossowski nicht zur Besprechung der Berliner Operation ins Hauptquartier bestellt.

Die 1. Belorussische Front sollte also in den ersten angespannten Tagen mit ungedecktem rechtem Flügel, ohne taktisches Zusammenwirken mit den Truppen der 2. Belorussischen Front, angreifen.

Wir berücksichtigen nicht nur den späteren Beginn der Offensive der 2. Belorussischen Front, sondern auch die Schwierigkeiten, die für sie bei der Überwindung des Unterlaufs der Oder mit ihren zwei großen Armen, der Ostoder und der Westoder, entstünden. Beide Arme sind 150 bis 250 Meter breit und bis zu zehn Meter tief. Nach unseren Berechnungen konnte die 2. Belorussische Front diese beiden Flußarme bald forcieren und so den notwendigen Brückenkopf bilden, frühestens jedoch in zwei bis drei Tagen. Folglich konnte diese Front nördlich von Berlin erst um den 23. und 24. April wirksam werden, das heißt, erst dann, wenn die 1. Belorussische Front schon Berlin stürmen würde.

Natürlich wäre es besser gewesen, fünf bis sechs Tage abzuwarten und die Berliner Operation mit allen drei Fronten gleichzeitig zu beginnen. Doch das Hauptquartier konnte angesichts der entstandenen miltärpolitischen Lage die Operation nicht mehr aufschieben.

Bis zum Operationsbeginn am 16. April blieb nicht mehr viel Zeit, und noch gab es sehr viel zu tun. Wir mußten unsere Truppen, nachdem sie von den Truppen der 2. Belorussischen Front abgelöst waren, umgruppieren, eine Riesenmenge von materiell-technischen Mitteln heranschaffen und die Front allseitig in operativ-taktischer Hinsicht vorbereiten. Im Mittelpunkt aller Anstrengungen stand die politische Sicherstellung der Operatin, bei der herausgearbeitet wurde, wie außerordentlich wichtig die Einnahme Berlins war.

Während des ganzen Krieges war ich unmittelbarer Teilnehmer vieler großer und wichtiger Offensiven, doch die bevorstehende Schlacht um Berlin war eine besondere, beispiellose Operation. Die Front mußte eine durchgehend gestaffelte Zone mächtiger Verteidigungslinien von der Oder bis zur stark befestigten Stadt durchbrechen. An den Zugängen von Berlin hatten wir eine große Gruppierug zu zerschlagen, damit wir die Hauptstadt des faschistischen Deutschlands nehmen konnten, um die sich der Gegner auf Leben und Tod schlagen würde.

Als ich über die bevorstehende Operation nachdachte, kehrte ich in Gedanken wiederholt zu der großen Schlacht bei Moskau zurück, als die starken Stoßruppierungen des Gegners sich im Vorgelände unserer Hauptstadt konzentrierten und unsere sich verteidigenden Truppen hart bedrängten. Ich kam immer wieder auf die einzelnen Episoden dieser Schlacht zurück und analysierte die Fehlschläge der kämpfenden Seiten. Wir wollten die Erfahrungen dieser komplizierten Schlacht in allen Einzelheiten beherzigen, um bei der bevorstehenden Operation keine Fehler zuzulassen.

Weiter zu Die Berliner Operation [2]

G. K. Schukow

(Georgi Konstantinowitsch Shukow: Die Berliner Operation. [1] In: Ders.: Erinnerungen und Gedanken. Band II, [Novosti 1974], Berlin [1976] S. 315 – 352, hier: 8. Aufl. 1987, S. 315 – 324)

Anmerkung

Siehe zum Vorstoß nach Berlin auch Wassili Tschjuikow (1966): Nach Berlin!

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